Zum Tod von Daniele Jenni (27.12.07)

,,Solange es Idioten gibt wie euch, gibt es Spinner wie uns.“

Inschrift auf einem Gedenkstein für das 1987 geräumte Zelt- und Wagendorf „Freie Land Zaffaraya“

Daniele Jenni gewidmet v. Tom, (Büro gegen finstere Zeiten in Bern)


Zum Tod von Daniele Jenni – aus Sicht der Rand- und Widerständigen

Bern, 27.12.07

„Daniele Jenni – Riposa in pace“ (Ruhe in Frieden) stand letzten Samstag auf einem Transparent der „Gioventù Biancoblù“ während des Eishockey-Matches der SCL Tigers gegen den HC Ambri Piottà. Das Transparent erntete den Applaus, der nicht nur aus dem Umfeld des autonomen Luganeser Centro sociale autogestito „Molino“ stammenden Ambri-Fans. Keinen Applaus bekam das Transparent für Daniele von der Langnauer Stadion-Security, die es zuerst gar nicht zulassen wollte. Hier in Langnau, so lautete die Begründung, habe man diesen Daniele Jenni gar nicht gern.
Auch andere Menschen bekundeten in den letzten Tagen auf verschiedene Weise ihre Betroffenheit über Danieles überraschenden Tod: Vor der Reitschule hängt ein Transparent, drinnen im Restaurant Sous le Pont eine Gedenktafel. Am letzten Freitag gab es im Jugendzentrum Grafitti am Konzertabend des „Vereins der versoffenen Schweine“, einer Gruppe von jungen Punks, die öfters mit Daniele zu tun hatten, eine Schweigeminute. Auf vielen Homepages sozialer, politischer und kultureller Gruppen wird Daniele gedacht.

Dass Daniele vielen in Erinnerung bleiben wird, ist kein Wunder. Denn er hat sich nicht nur für uns Rand- und Widerständige engagiert, er hat auch mit uns kritisch-solidarisch gekämpft und gelebt.
Ich kann seinen Kampf und sein Engagement nur in Stichworten aufzählen: Er kämpfte für Grund-, Menschen- und Bürgerrechte, für Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, er leistete Widerstand gegen den obrigkeitlichen Wegweisungswahn und unterstützte juristisch und politisch Rand- und Widerständigen aller Art: Haus- und Wagenplatzbesetzende, Jung- und Alt-Antifas, AktivistInnen gegen WEF und WTO, Babypunks, Gassenpunks, Alkies, Junkies, Gassenküche-Kochende, Paradiesli-Kulturschaffende. Und so weiter und so fort.
Was ich nicht beschreiben kann, ist, was Danieles Arbeit für die einzelnen Menschen bedeutete. Das müssen sie schon selber tun. Ich kann hier nur für mich reden. Eines habe wir aber wohl alle gemeinsam: Zu Daniele bestand immer ein besonderes Verhältnis. Denn er war nicht nur Parlamentarier, Anwalt, Genosse und meist ältester Demoteilnehmer, sondern er war einer „von uns“.

Ich lernte Daniele etwa 1996 im Rahmen des Referendums gegen das neue kantonale Polizeigesetz kennen. Während die parlamentarische Linke nach der verlorenen Grossrats-Abstimmung über das von Kurt Wasserfallen verschärfte kantonale Polizeigesetz „betroffen“ in die Sommerferien ging, ergriffen AnarchistInnen aus Thun, Bern und Biel sowie die Grüne Partei Bern das Referendum. Nach unserer erfolgreichen Unterschriftensammlung schickte uns das Kader des Grünen Bündnis eine Gratulations-Postkarte und erinnerte daran, dass sie uns ja „schon immer“ unterstützt hätten. Der Rest ist Geschichte: es gab ein libertäres Abstimmungskomitee, dem auch Daniele angehörte und ein rotgrün-parlamentarisches, dass sich ängstlich von uns abgrenzte. In der Abstimmung 1997 erreichten wir immerhin mehr als 1/3 Nein-Stimmen und – beinahe wichtiger – die breite Thematisierung der Inhalte des Polizeigesetzes, v.a. der Lex Wasserfallen, dem berüchtigten Wegweisungsartikel.

Während sich dann 1998 Rotgrün mit der Task Force Drogenpolitik ähnlich wie heute nicht nur mit der „Aktion Citro“ ins repressive Mittelalter stürzte, blieben die meisten AktivistInnen des libertären Abstimmungskomitees – unter anderem auch der Mitte April dieses Jahres verstorbene Bieler Anarchist Marc Haldimann – am Thema dran. „In ä suberi Stadt blickt mä dür näs Ziel(färn)rohr“, beschrieben damals die jungen Berner Hiphopper von PVP sehr treffend die Realitäten auf den Berner Strassen. Daniele war wohl derjenige von uns, der den obrigkeitlichen Wegweisungswahn am effizientesten bekämpfte. Er schuf mit seiner juristischen Arbeit eine niederschwellige Anlaufstelle, zu der die von Wegweisungen Betroffenen einen einfachen Zugang hatten. Mit Daniele fanden sie jemanden, der sie respektvoll und nicht von oben herab oder anbiedernd behandelte und mit dessen Hilfe sie sich wehren konnten. Er zwang Politik, Polizei und Justiz dazu, sich an die eigenen Gesetze zu halten und die Grundrechte der von ihnen gejagten Rand- und Widerständigen – zumindest juristisch – zu respektieren.

Daniele war nicht nur für soziale, sondern auch für politische Rand- und Widerständige eine Anlaufstelle: So zum Beispiel im Frühling 2000, als das frisch gegründete Bündnis alle gegen Rechts für den 1. Antifaschistischen Abendspaziergang das erste und letzte Mal ein Bewilligungsgesuch einreichte. Auf der Suche nach zwei Menschen, die dieses Gesuch für uns einreichten, wurden wir nur bei Daniele fündig. Und so sassen dann Daniele und ich bei der Stadtpolizei und verhandelten über die Demoroute. Ich war froh darum, denn er stärkte mir den Rücken bei den nicht gerade einfachen Verhandlungen.
Er hat damals auch auf sozialer Ebene etwas zum 1. Abendspaziergang beigetragen: er pflegte nämlich in seiner damaligen Stammkneipe Löwen in Bümpliz auch mit Bernhard Hess von den Schweizerdemokraten Bier zu trinken. Dieser hetzte damals in den Medien massiv gegen den Antifaschistischen Abendspaziergang. In dieser von Daniele gelockerten Atmosphäre liessen sich ein paar Antifa-Babypunks, die auch dort verkehrten, von Hess zum Bier einladen, diskutierten spasseshalber mit ihm und erreichten damit, dass Hess plötzlich in den Medien verkündete, er fände die Jung-Antifas gar nicht so schlimm.
Jahre später schrieb sogar der „Bote der Urschweiz“ verwundert über diesen bärtigen „Antifa-Anwalt“ aus Bern, der eines Tages in Begleitung von 5 jungen Antifas in schwarzen Kapuzenpullovern in Brunnen aus einem Touristenschiff gestiegen war und fortan Jahr um Jahr für das „Bündnis für ein buntes Brunnen“ mit den Behörden über eine Demobewilligung für eine Kundgebung gegen die Nazipräsenz auf dem 1. August-Rütli verhandelte.

Daniele Jenni war nicht nur ein politischer Mitkämpfer, er war auch mein Anwalt in einigen juristischen Auseinandersetzungen, die ich wie viele andere soziale, kulturelle und politische Rand- und Widerständige mit der Obrigkeit hatte. Er hat dies immer sehr ruhig, kompetent, gemütlich und – zum Schrecken der RichterInnen – mit sehr ausführlichen Plädoyers getan. Und sich meistens noch mehr über die Justiz amüsiert als wir Angeklagten. Das Gerücht, er habe sich für uns prozessanfällige AnarchistInnen v.a. aus finanziellen Gründen interessiert, kann ich mehr als entkräften: Bis heute haben ich und viele andere für seine juristische Arbeit keinen Rappen bezahlt. Nicht mal den Kaffee nach dem Prozess durften wir selber bezahlen. Daniele vergass vorsätzlich und mutwillig uns Rechnung zu stellen, denn er finanzierte lieber die erfolglosen Prozesse mit den Einnahmen der erfolgreichen. Durch diese faktische Kostenlosigkeit per Quersubventionierung erreichte Daniele auch für politische AktivistInnen einen niederschwelligen Zugang zu juristischer Verteidigung.

Daniele war nicht nur in Parlament und Gerichtssaal, sondern, im Gegensatz zu vielen parlamentarischen Rotgrünen, auch auf der Strasse aktiv und in den letzten Jahren nahm er zu meinem Erstaunen an mehr Demos teil als ich. Und er hat die Exzesse des schweizerischen Polizeistaates mit uns hautnah erlebt. So zum Beispiel in Landquart im Januar 2004, als uns knüppelnde Genfer Robocops nach der Anti-WEF-Demo in Chur im Bahnhof Landquart aus den Zügen prügelten, sogar Tränengas in Waggons einsetzten, und uns in faschistischer Manier wie Schwarze Schafe vor die deutschen Wasserwerfer trieben. Daniele hat damals lange mitten im Tränengasnebel gestanden, kam nicht so schnell vorwärts wie wir anderen, hatte Mühe, über eine eiserne Abschrankung zu kommen. Eine Zeitlang hab ich sogar befürchtet, dass die Robocops ihn zusammenknüppeln werden.
Die brutale Repression in Landquart hat einige fertig gemacht. Daniele nahms – zumindest gegen aussen – relativ locker. Und hat sich dann mit uns anderen 1081 Eingekesselten über die deutschen Wasserwerfer-Bullen amüsiert, die uns hinter die mittlerweile berühmte „virtuelle Linie“ befahlen – und die uns ermahnten – ausgerechnet uns -, wir sollten nicht die Arbeit der Polizei behindern. Spätestens von da an waren Daniele und ich in der gleichen Kartei.
In der gleichen Kartei landeten er und etwa 400 Anti-WEF-AktivistInnen, die 2005 in Basel noch vor Demobeginn eingekesselt wurden. Daniele verhandelte mit der Einsatzleitung und verliess damals, wie schon so oft, als letzter den Kessel, obwohl die Robocops ihn schon früher gehen lassen wollten. Danieles letzter juristischer Erfolg als Anwalt vor seinem Tod war ein Sieg gegen den damaligen (und heutigen) Basler Polizeistaat: er und 14 Mitangeklagte wurden diesen Dezember freigesprochen.

Daniele war – schon lange vor dem 6.10. – ein Schwarzes Schaf. In einer seiner Stammkneipen, dem Restaurant des Pyrénées, bekam er im Spätsommer dieses Jahres Lokalverbot, mit der Begründung, er würde immer die gewalttätigen Demos organisieren und so einen wolle man nicht. Vor, während und nach dem 6.10. distanzierten sich die meisten rotgrünen Parteien wahlkampf-ängstlich von Daniele und dem Komitee Schwarzes Schaf. Unter anderem auch ein GFLer, der in jungen Jahren ein wilder ausserparlamentarischer Gassenküche-Aktivist war. In internationalen Medien, z.B. der New York Times, wurde Daniele als einer der Sprecher des Schweizer Widerstandes gegen die Blocher-SVP zitiert. Die meisten Schweizer Medien und Parteien, die die Stadt Bern – die „Hauptstadt der Anarchie“ – medial in Schutt und Asche gelegt hatten, machten in einem kollektiven Hass-Anfall aus Daniele wider besseren Wissens einen national bekannten Randale-Rädelsführer. Allen voran der „Berner Bär“, der Daniele gar als „Talibanfürst“ bezeichnete, obwohl dieser, wäre er Afghani gewesen, wohl am hartnäckigsten gegen deren Religionsgesetze gekämpft hätte.

Daniele, immer unterwegs mit Aktentasche oder Rucksack, wird uns weiterlebenden Rand- und Widerständigen fehlen. An Demos, vor Gericht, auf der Gasse, an Vorbereitungs-Sitzungen, beim Bier im Sous le Pont oder der Brass Lorraine. Er wird uns fehlen, wenn nächstes Jahr die Police Bern nicht nur für das WEF aufmarschiert, wenn die Euro 08 anrollt und wenn im Wahlkampf-Jahr Bürgerliche und Rotgrüne um repressive Ideen wetteifern. Wir werden ihn und seine kontinuierliche Arbeit vermissen. Wir werden den kompetentesten Mitstreiter gegen städtische, kantonale oder eidgenössische Obrigkeiten und deren Polizeiapparate vermissen. Und wir werden uns Gedanken machen müssen, wie wir gemeinsam die Lücke, die sein Tod hinterlassen hat, füllen können. Wie wir seine antirepressive Kontinuität weiterführen können. Denn wir werden auch weiterhin durch unsere Lebensstile, durch unsere Wohnformen, durch unsere sozialen, politischen und kulturellen Inhalte und durch unseren Widerstand anecken.

Auch Daniele eckte an – zum einen mit seiner juristischen Arbeit, seiner parlamentarischen und ausserparlamentarischen Politik – zum anderen – wohl weil kaum jemand ihm inhaltlich Paroli bieten konnte – auch mit seinem Erscheinungsbild, mit seiner Art, mit seinem Stil. Er war in dieser Stadt, speziell auch im juristischen Milieu seine eigene kleine Randgruppe. Als mein kleiner Bruder – er ist mittlerweile Anwalt – vor Jahren im Amtshaus sein Praktikum machte, erzählte er mir immer wieder, dass die dortigen JuristInnen, über Danieles Äusseres und sein Auftreten vor Gericht ablästern würden. Auch in der Stadtverwaltung machten sie Sprüche über Daniele. Einer dieser Stadtverwaltungsmenschen – ein Sachbearbeiter des Stadtratssekretariats und ein Hausmitbewohner von mir, – langweilte mich in den letzten zwei Jahren regelmässig mit seinen Versuchen, mit mir im Treppenhaus Small Talk über diesen „komischen Daniele Jenni“ und seine „sturen politischen Vorstösse“ zu betreiben.

Daniele Jenni war ein Spinner – genauso wie ich, genauso wie die meisten hier in diesem Raum. SpinnerInnen, die es nicht lassen können und wollen, den herrschenden Zu- und Missständen einfach etwas entgegenzusetzen, die für eine bessere und gerechtere Gesellschaft kämpfen – alle nach ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten, ohne sich vom herrschenden Mainstream, vom knüppelschwingenden Repressionsapparat oder von OpportunistInnen aus den eigenen Reihen davon abbringen zu lassen.

1988 – Daniele war damals 39 und ich 18 – wurde auf dem Gaswerkareal von einer kleinen Demo ein Grab- und Gedenkstein für das im Jahr zuvor geräumte Zaffaraya niedergelegt. Deren Inschrift möchte ich zum Schluss uns weiterlebenden Rand- und Widerständigen zur Ermutigung ans Herz legen und all den Blochers, Wasserfallens und rotgrünen OpportunistInnen als Warnung mit auf den Weg geben. Aber vor allem möchte ich sie Daniele widmen, denn er hat deren trutzige Aussage mit seinem Wirken mehr als gelebt:

„Solange es Idioten gibt wie euch, gibt es Spinner wie uns.“

Tom, Büro gegen finstere Zeiten Bern
Quelle

1 Kommentare zu “Zum Tod von Daniele Jenni (27.12.07)

  1. Vera

    Wir werden Daniele sehr vermissen und ihn nie vergessen! Lasst uns in seinem Sinne weiterkämpfen. Das hätte er am meisten gewollt.
    Solidarische Grüsse von Vera und den Unverbesserlichen aus Brentoliz

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